Fantastic Four? Superhelden in Schulkleidung
Sehr geehrte Vorstände,
liebe Kollegen, Mitglieder des Schulvereins und Eltern, werte Gäste -
aber vor allem - meine lieben 10er.
Ich freue mich, dass ich in diesem Jahr wieder hier stehen kann und das meine ich im doppelten Wortsinne ehrlich und von Herzen.
Wer sich meine Reden in den vergangenen Jahren schon zugemutet hat, wird wissen, dass ich gern versuche, den Abschlussjahrgang an ein sprachliches Bild zu knüpfen. Ich habe irgendwann mal gelernt, das heißt dann Metapher und funktioniert mal besser und mal schlechter. Wir werden gemeinsam herausfinden, wie es in diesem Jahr gelingt.
Der vierte Jahrgang - Für die Zahl 4 bietet sich ja so manche Geschichte an. Vier Himmelrichtungen, vier Flüsse aus Eden, vier Weltreiche, vier Evangelien - alles von weltweiter Bedeutung, in Perfektion von Gott geschaffen. Bilder die man weiter denken könnte … oder …
Vier Musketiere - Schnurrbärte und tolle Hüte, eigentlich nicht schlecht aber für meinen Geschmack etwas zu frankophil.
Vier-zig Jahre wanderte Abraham mit dem Volk Israel durch die Wüste - wir werden unsere Geschichte mal nicht zu hoch hängen, auch wenn die Ergebnisse am Ende, nach einer Menge harter Arbeit doch fast ebenso erfreulich sind wie damals beim bekannten Stammvater.
Der ein oder andere wird es wissen: wir haben in unserer Klasse so manchen Superhelden-Fan und bei der Zahl 4 dürften denjenigen ganz schnell die Fantastic Four einfallen. Für die weniger fantasiefilmbegeisterten Zuhörer sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Fantastic Four, wie jede gute Superheldenkombo aus, mit unterschiedlichen Kräfte gewappneten Charakteren besteht und so, meist abenteuerlich, teils abstruse Weltenrettungen unternimmt. Außerdem ist diese Truppe keinesfalls mit den Stuttgarter HipHopern á la „Die da …“ und „MfG“ zu verwechseln.
Ähnlich wie bei jenen Helden des cinematischen Marvel-Universums brachte einjeder seine Stärken ein, um diese, unsere Klasse zu dem zu machen, was sie heute ist.
Dabei geht es keineswegs um Fantastereien wie unsichtbare Energieschilde oder die Fähigkeit des Gedankenlesens - auch wenn vor allem letztere bei manchem Genuschel, Getuschel oder einfach nur vor einem pubertären Wirrkopf durchaus nützlich gewesen wäre. Ein gesundes Maß an Empathie, also Einfühlungsvermögen in der Klassengemeinschaft aber auch in unserer Lehrer-Schüler-Beziehung war aber ein beiderseitiges Lernziel und hat oft geholfen, unsere Gemeinschaft zusammen zu halten.
Wie in jeder guten Geschichte, die sich tunlichst über mehrere Episoden, wenn nicht sogar ganze Bände fortsetzen soll, bringt der Autor zuweilen immer mal wieder neue Charaktere in den Handlungsstrang ein, um den Leser bei Laune und die Geschichte spannend zu halten. Gut, im Comic sind das eben genau so häufig auch Bösewichte oder erbitterte Erzfeinde des Titelhelden - hier scheint der Vergleich doch ein wenig zu stark zu hinken.
Wenn man bedenkt, mit welch kleinem Grüppchen wir damals gemeinsam in der fünften Klasse angefangen haben und wieviele Neuzugänge heute unter uns sitzen, dann wird meine Intention vielleicht doch irgendwie offenbar. Insgesamt besuchten immerhin 38 Schülerinnen und Schüler diese Klasse, die einen länger, die anderen kürzer und jene hier bis zum erfolgreichen Ende.
Dem Endgame sozusagen - dennoch, Geschichten beginnen zumeist am Anfang und sechs Jahre wollen umrissen sein.
Als ich kurz nach Pfingsten 2013 während eines Heimaturlaubs aus dem bayrischen Exil die Chance zum Bewerbungsgespräch an der Evangelischen Mittelschule nutzte, war mir bereits klar, dass ich für meine Fächer, mehr noch aber für die Erziehung, letztlich aber für ein gesegnetes Miteinander in einer neuen Schulgemeinschaft brennen möchte. Welcher Funke sollte auch bei zundertrockenen Unterrichtsinhalten überspringen, wenn der Lehrer nicht selbst ein gewisses Feuer mitbringen kann. Die kleinen Glimmer der noch Viertklässler standen damals bereits in den Startlöchern und alle Beteiligten freuten sich, ein passendes Puzzleteil und damit einen zumindest potentiell geeigneten, neuen Klassenlehrer gefunden zu haben.
Frau Paul hat zur Vorstellung des „Neuen“ im Gemeindeblatt unter anderem den Satz geschrieben: „... und er ist manchmal auch wie ein Vater zu unseren Kinder.“ - damals klang das für mich, das gebe ich unverhohlen zu, ein wenig befremdlich, vielleicht sogar beängstigend.
Ein gutes Buch hilft in solchen Situationen bekanntermaßen als Ratgeber, zum Beispiel in Lukas im 12. Kapitel, Vers 32:
„Fürchte dich nicht, du kleine Herde. Denn es hat Euerm Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben.“
Damit allein kann ja schonmal nichts schief gehen, mit den 19 mir anvertrauten kleinen Lämmern dieser Herde.
Mit Sicherheit wichtig war aber auch:
„Mein Sohn, verwirf die Zucht des Herrn nicht und sei nicht unwillig, wenn er dich zurechtweist; denn wen der Herr liebt, den weist er zurecht, und hat doch Wohlgefallen an ihm wie ein Vater am Sohn.“ - aus den Sprüchen im dritten Kapitel, 11-12.
Denn auch das ein oder andere pädagogische Gespräch gehört, neben der hochgezogenen Augenbraue oder zur Not auch dem kurzen Pfiff zum Schulalltag dazu.
Welche Mittel wann und für wen sinnvoll, vielleicht sogar nutzbringend waren, lernten wir gemeinsam.
Und letztlich steht eine Arbeitsgrundlage im Lehrtext zur heutigen Herrnhuter Losung:
„Lasst uns Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen.“ (aus dem Galaterbrief Kapitel 6, Vers 9.)
Wenn das nicht nach Heldentum klingt, dann weiß ich auch nicht. Zugegebener Maßen waren manche von euch viel öfter müde als dafür Zeit gewesen wäre. Zur Ernte allerdings, waren dann doch wieder alle bereit, arbeiteten zielstrebig, nach bestem Wissen und Gewissen und im Einzelfall eben auch genau auf den Punkt. Ein gutes Pferd springt eben genau so hoch wie es muss.
Bevor ich jedoch in Phrasen abgleite, möchte ich ein viertes Zitat nicht vergessen.
„Aus großer Kraft, folgt große Verantwortung.“ Dieser Leitspruch, stammt nicht aus dem Buch der Bücher, sondern begleitet die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft, den Superhelden Spiderman, trifft aber auch auf euch ohne Weiteres zu.
Schließlich hattet ihr zumeist einen kleinen Wissensvorsprung. Wenigstens einen Vorteil muss es ja haben, die „Quelle“ der Entscheidungen, mit denen ihr euch in den sechs Jahren mal mehr, mal weniger anfreuen konntet, gleichzeitig Klassenlehrer nennen zu dürfen bzw. zu müssen. Auch für eure Nachsicht bezüglich so mancher Konferenz, externer Weiterbildung - ich lerne schließlich auch noch - und prüfungsbedingter „Abwesenheit“, die uns mehr als eine Stunde regulären Unterrichts gekostet haben, möchte ich mich bedanken.
Ihr habt immer versucht, mit gutem Vorbild als „die Klasse vom Schulleiter“ voran zu gehen. Ein Versprechen, welches ich euch damals bei Übernahme dieses Postens abgerungen hatte - manche werden sich erinnern und die meisten haben das auch tapfer und in der deutlichen Mehrzahl der Ereignisse durchhalten können.
Eure Talente gehen aber weiter.
Ihr seid ausgezeichnete Sportler: Teamplayer im Fußball, Läufer mit Bestzeiten - unser Neigungskurs wird bei einzelnen Events heute noch vermisst - und engagierte sowie dekorierte Leichtathleten mit Sportabzeichen in allen Farben. Dabei habt ihr nicht nur gelernt, fair zu siegen und diese Erfolge angemessen zu feiern. Ihr wisst auch mit Niederlagen umzugehen und das allein ist für jeden von euch ein persönlicher Gewinn.
Eure musikalischen Gaben konntet ihr zuletzt heute in unserem Gottesdienst unter Beweis stellen. Was wären unsere Adventscafés, Schulfeste und -gottesdienste im Speisesaal ohne die Blechbläser oder unsere Band gewesen? Mindestens sehr still, sicher aber auch ziemlich langweilig. Danke für die wertvolle Ausgestaltung.
Ein genauso großer Dank geht an unsere findigen Techniker. Nicht jeder steht gern auf großer Bühne und im Scheinwerferlicht. Die engagierten Arbeiter im Hintergrund, die dafür sorgen, dass alles da steht, alles gut zu hören ist und letztlich sogar alles wieder da hin zurück kommt, wo es hingehört, sind ein tragendes Element unserer Schulgemeinschaft. Diesen Job habt ihr ohne Frage sorgsam und fleißig immer wieder übernommen und nun sogar ein neues Team angelernt, um die Verantwortung pflichtbewusst weitergeben zu können.
Gerne erinnere ich mich auch an vier schöne Klassenfahrten und eine hervorragende Abschlussreise an den Gardasee. Dabei wurde nicht nur die Elastizität manches Nervenstrangs auf die Probe gestellt. Auch die Flexibilität und immer wieder der Zusammenhalt der Klassengemeinschaft konnten bewiesen werden. Dass dafür auch Anstrengungen notwendig sind, bleibt unbestritten.
Stan Lee, der Erschaffer der Superheldenszenarien, die hier immer mal wieder eine metaphorische Rolle gespielt haben, sagte: „Ein Held ist jemand, dem es um das Wohlergehen anderer geht und der alles Mögliche anstellen wird, um dem anderen zu helfen, selbst dann, wenn es keine Aussicht auf eine Belohnung gibt.“ Hier zu nennende Helden sind also Frau Wollny, die uns auf unser ersten Reise nach Görlitz begleitete, aber natürlich auch Frau Gründler, die ab Klasse 7 in jedem Jahr treu die Mitfahrt möglich gemacht hat. Selbstverständlich kann und möchte ich Herrn Kahlert in dieser Aufzählung keinesfalls vergessen. Danke, dass Sie und du die Rasselbande immer mit zusammengehalten haben.
In diesem Zusammenhang sei mir noch eine kleine Geschichte gestattet, haben Sie noch ein bisschen Zeit?
Die Jugendherbergsfahrt in Klasse 6 führte uns in meine heimatlichen Gefilde. Der höchste deutsche Berg östlich der Elbe, die Lausche im Zittauer Gebirge - immerhin 793m hoch - wollte erklommen werden. Sportliche junge Männer lieferten sich förmlich ein Wettrennen die steilen Serpentinen hinauf, Herr Kahlert weiß sicher noch wovon ich spreche. Das stabile Mittelfeld wurde dankenswerter Weise von Frau Gunold begleitet. Einzig eine Schülerin konnte, so sehr sie auch wollte, den Anschluss nicht halten. Was war das für ein Kampf.
Ausschließlich verbal, versteht sich, zog und zerrte ich das Mädchen, mal motivierend, mal herausfordernd den Berg hinauf. Nur noch ein paar Meter, klar schaffst du das. Nur noch eine Biegung, nein, du kannst nicht einfach hier bleiben. Da vorn ist dann schon gleich der Gipfel, umdrehen wäre jetzt wirklich keine kluge Idee. Mehr habe ich bis dahin und auch seitdem nie wieder auf ein Kind eingeredet.
100 Meter vor dem Gipfel kamen uns dann die anderen Mädels der Klasse entgegen und komplimentierten ihre Freundin ans Ziel. Wenn auch mit einer ordentlichen Verspätung und komplett geschafft, waren also alle am Ziel angekommen.
Niemand wird zurück gelassen. Wenn es hilft, gehe ich den Weg auch mehrfach, egal wie steil oder anstrengend.
Viele von euch haben diese Vorgehensweise verinnerlicht. Nicht aufzugeben, weiter schaffen, sein Bestes geben und Ziele erreichen. Das gilt auch außerhalb der Schulwelt und nicht nur auf Wander- sondern auf allen Lebenswegen.
Unser Kollegium, euere Eltern, der Schulverein und ich persönlich haben unser Möglichstes getan, um euch für euere Zukunft zur rüsten. Ihr habt beachtliches Wissen, große Fähigkeiten und kostbare Werte, bestimmt auch viele Freunde mitnehmen dürfen. Mit diesen Gaben, da bin ich mir sicher, kann wirklich kaum etwas schief gehen und ich danke allen von Herzen, die daran mitgearbeitet haben, euch so reich auszustatten. Abschließend sei aber nochmals ein Blick in die Bibel erlaubt.
Da heißt es im 33. Psalm im 16. Vers: „Einem König hilft nicht seine große Macht; ein Held kann sich nicht retten durch seine große Kraft.“
In den folgenden Versen wird ganz deutlich gemacht: Vertraut auf die Hilfe Gottes, seine Güte wird über euch sein. Denn ohne ihn, auch das habt ihr sicher nicht zuletzt bei uns gelernt, kann nichts gelingen. Er wird euer Schild und euer Trost sein. Er wird euch den rechten Weg zeigen und euch leiten ein Leben lang.
So könnt ihr wahre Helden werden, ein kleines bisschen super seid ihr ja jetzt schon.
Amen.
Achso ja, nach den ganzen Zahlenspielereien - wer aufgepasst hat, konnte die Vier hier häufig entdecken - ein letzter Satz, vielleicht auch zwei oder vier?
Im vergangenen Jahr durfte ich dann ja tatsächlich Vater werden. Eine Schülerin berichtete wohl daheim von diesem Umstand mit den Worten „… dass ich das noch erleben darf.“ Ähnlich dachte auch ich, fühlte mich aber Dank meiner Erfahrungen mit euch durchaus gut vorbereitet, von Fremdeln oder gar Angst keine Spur. Habt auch dafür Dank, meine lieben Kinder.
Toni Menzel
- Schulleiter & Klassenlehrer -